Dubai – Allahs neue Welt

Am Anfang war das Öl und mit ihm kam der Reichtum. Aus einer Zeltstadt am Rand der Wüste wurde die erste Metropole des dritten Jahrtausends: Dubai

Ganz Dubai ist eine Baustelle. Wer auf der Sheikh Zayed Road von Abu Dhabi kommt, steht nach Kilometern Wüste plötzlich davor: Dutzende Wolkenkratzer und ein Wald aus Kränen erheben sich am dunstigen Horizont. Wer einst dachte, der Potsdamer Platz in Berlin war eine Großbaustelle, erlebt hier neue Dimensionen. In wenigen Monaten soll das luxuriöseste Viertel der Stadt fertig sein. Mehr als 100 Hochhäuser werden dann einen Yachthafen umstellen. Die Apartments sind angeblich schon alle verkauft.

Dubai, Superlativ, der sich permanent übertrifft, Boomtown, Handelsdrehkreuz, Touristenmekka – irgendwas zwischen Utopia und Metropolis. Eine Stadt, die tatsächlich niemals schläft. Schon deshalb nicht, weil auf den Baustellen die ganze Nacht die Lichter brennen. In der Zeit, in der man in Deutschland auf die Baugenehmigung für eine Dachgaube wartet, werden in Dubai ganze Stadtteile aus dem Boden gestampft. Wer ein Jahr nicht hier war, findet sich nur noch schwer zurecht. Denn bestimmt ist eine Hauptstraße verlegt oder eine neue Ferieninsel vor der Küste aufgeschüttet worden.

Dubai ist atemlos. Schneller, greller und überdrehter als irgendeine andere Stadt im Nahen Osten. 12 000 Menschen aus aller Welt strömen jeden Monat hierher. In den zahllosen Clubs wird bis tief in die Nacht gefeiert. Am Wochenende toben Familien bei 30 Grad Außentemperatur durch den Kunstschnee von ”Ski Dubai“. Damit auch jeder merkt, was hier los ist, übt Golfstar Tiger Woods auf dem Hubschrauberlandeplatz des Burj al-Arab ein paar Abschläge – und die Weltpresse überschlägt sich. Eine Gegend, die stabiles Wetter,lange Sandstrände und einen Benzinpreis von 30 Cent pro Liter zu bieten hat, kommt der mitteleuropäischen Vorstellung vom Paradies schon ziemlich nahe. Aber wie nennt man dann ein Land ohne Steuerpflicht, in dem das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei 24000 Dollar liegt, und die Eigenheimzulage, auf die jede junge einheimische Familie Anspruch hat, in der Höhe eines mittleren Lottogewinns liegt.

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind gerade mal so groß wie Österreich, aber sie besitzen zehn Prozent der Erdölvorkommen der Welt. Diese Gnade Allahs hat eine Gesellschaft aus Beduinen und Fischern innerhalb von 30 Jahren in die Moderne katapultiert.

Alle im Land sind sich einig: Es ist der klugen Politik des Staatsgründers Scheich Zayed zu verdanken, dass die Öl-Milliarden nicht – wie in Libyen oder im Iran – in Korruption und Günstlingswirtschaft versickerten. 1971, nach dem Abzug der Briten, schmiedete Zayed, ein Mann, der nie richtig lesen und schreiben lernte, diesen Bundesstaat aus sechs Fürstentümern (Ras al-Khaimah trat später bei). Nur einige Jahre zuvor hatten sie sich noch in Wüstenscharmützeln bekriegt. Die Machtverhältnisse im neuen Staat sortierten sich nach den Ölvorkommen. Doch Zayed regierte nach dem Grundsatz ”Teile und herrsche“. Eine Art orientalischer Länderfinanzausgleich sorgt dafür, dass auch die ärmeren der sieben Emirate am Ölreichtum von Dubai und Abu Dhabi partizipieren.

Und damit jeder Einheimische. Kein Staatsbürger der Vereinigten Arabischen Emirate muss seine Zeit mit einfacher Lohnarbeit verschwenden. Für das Wirtschaftswachstum sorgt ein Heer von Gastarbeitern. Handwerker aus Indien und Pakistan, Ingenieure aus dem fernen Osten, Hotelfachleute und Banker aus Europa. Die Araber sind Minderheit im eigenen Land, auf jeden von ihnen kommen sechs Ausländer. Selbst in der Armee sind sie in der Unterzahl. Im täglichen Leben ohnehin. Wenn sich ein Araber in der Mall Kebab kaufen will, muss er auf Englisch bestellen, weil ihn sonst die philippinische Bedienung nicht versteht.

Das Ergebnis ist eine multi-ethnische Gesellschaft, die es in der arabischen Welt kein zweites Mal gibt. Man könnte auch sagen: ein Apartheid-Regime ohne Repression, aber mit klarer Arbeitsteilung. Einheimische sitzen an den Sehaltstellen in Politik und Wirtschaft und bleiben im gesellschaftlichen Leben weitgehend unter sich. Ausländer arbeiten, zahlen Steuern und verlassen im Alter wieder das Land. Ob Börsenbroker oder Taxifahrer, wer das Rentenalter erreicht oder seinen Job verliert, muss gehen. Ob das auf Dauer durchsetzbar bleibt, ist fraglich. Doch bislang gibt es keine Pläne, Ausländer einzubürgern.

Der Zufriedenheit unter den Expats, wie die Ausländer hier heißen, tut das bisher keinen Abbruch. Europäer können sich einen Lebensstandard leisten, der in Europa nur für Topverdiener denkbar wäre. Und so lange selbst der indische Maurer auf der Baustelle dreimal so viel verdient wie ein Lehrer daheim in Bangalore, gibt es offenbar keinen Grund, nach Demokratie und Mitbestimmung zu rufen.

Im vergangenen Jahr zog eine große Demonstration indischer und pakistanischer Arbeiter durch die Straßen von Dubai. Sie waren seit Monaten von ihren Arbeitgebern nicht mehr bezahlt worden. Das kommt öfter vor. Da aber die Aufenthaltsgenehmigungen der Gastarbeiter an den Arbeitsplatz gebunden sind, hatten sich die Arbeiter nicht getraut, gegen solche Ungerechtigkeiten zu protestieren.

 Ein solcher Massenprotest war neu für die Emirate. Für viele Beobachter galt er als Nagelprobe, wie die Regierung mit solchen sozialen Spannungen umgeht. Doch das Problem wurde nach Beduinen-Art gelöst. Scheich Mohammed bin-Raschid al-Maktoum, der Herrscher von Dubai, erklärte, er sei enttäuscht von den Baufirmen. Die Arbeiter wurden zunächst aus der Staatskasse bezahlt, die Firmen bis auf weiteres von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Die Zeitungen des Landes schreiben seit neuestem ziemlich unbekümmert über solche Themen. Noch vor kurzem galt der Grundsatz, keine Kritik am eigenen Land. Jetzt kann jederlesen, wo es hakt. Da ist plötzlich von Hausangestellten die Rede, die wie Leibeigene gehalten werden und von Arabern, die wegen Vergewaltigung ins Gefängnis wandern. Auch die Frage, wie es gelingen könnte, mehr junge Einheimische zu motivieren, einen Job in der freien Wirtschaft anzunehmen, wird heftig diskutiert.

Vergleicht man diese Schlagzeilen jedoch mit den Krisen im Rest der Region, nehmen sie sich wie Luxusprobleme aus. Der Bürgerkrieg im Irak, Politikermorde im Libanon und der Konflikt zwischen Israel und Palästina, all das liegt nur ein paar hundert Kilometer entfernt und ist doch weit weg. ”Die Emirate schwimmen wie ein Korken auf bewegter See“, sagt ein Diplomat. Selbst von Terroranschlägen, die Saudi-Arabien und Bahrain getroffen haben, blieb das kleine Land bisher verschont.

Im Gegenteil. Die VAE, besonders Dubai, profitieren bisher davon. Seit dem 11. September 2001 haben westliche Unternehmen diskret ihre Nahost-Zentralen aus dem saudischen Riad nach Dubai verlegt. Reiche Iraner und Iraker wollen ihr Vermögen dort in Sicherheit bringen. Andere araber mögen nicht länger in den USA investieren. Und auch manche schwarz verdiente Million aus den ehemaligen Sowjetrepubliken hat ihren Weg in einen Immobilienfond aus Dubai gefunden. Ein deutscher Geschäftsmann sagt: ”Der Westen hat noch gar nicht begriffen, welche gigantische Umverteilung des Vermögens in dieser Region derzeit abläuft.“

Wer der Sheikh Zayed Road folgt, schaut auch in die Zukunft. Denn in Dubai hat die Zeit nach dem Öl längst begonnen. Ein Dutzend Freihandelszonen und einen der größten Containerhäfen der Welt gibt es schon. Der zweite Flughafen ist bald fertig. Am Strand bläht sich das Burj al-Arab wie ein gigantisches Segel. Und in der Stadt liegt die Baustelle des Burj Dubai. Der Turm soll das größte Gebäude der Welt werden. 160 Stockwerke, mindestens. Noch so ein Superlativ. Es wird wohl nicht der letzte sein.