Otto Schily – Die Diva mit dem Zeigefinger
Wer zu Schily will, muss zweimal klingeln. So steht es auf dem Türschild. Die bayerische SPD residiert in München in einem schmuddeligen gelb-blauen Gebäude aus den 60er Jahren.
Hier hat der Abgeordnete Otto Schily im ersten Stock, zwischen Druckerei (einmal klingeln) und politischem Bildungsverein (dreimal klingeln), sein Bürgerbüro, quasi zur Untermiete. Der Rest des Landesverbandes wohnt ein Stockwerk höher. Mit eigenen Klingelknöpfen.
Anzutreffen ist der Untermieter hier nicht allzu oft. Denn Schily ist meistens unterwegs. Der Wahlkreis in Bayern, Familie und Steinway-Flügel in Berlin, sein eigentliches politisches Wirkungsfeld als stellvertretender Fraktionschef in Bonn. Dort ist er Chefunterhändler der SPD für den Lauschangriff und sitzt zwischen allen Stühlen. Auf dem Parteitag der SPD in Hannover erhielt der bereits mühsam ausgehandelte Kompromiss eine Abfuhr. Die Partei entschied, Beichtgeheimnis, ärztliche und anwaltliche Schweigepflicht müssten besser geschützt werden. Damit „die akustische Überwachung“ kommende Woche im Bundestag beschlossen werden kann, musste Schily nachsitzen. So empfand er das zumindest. Immerhin acht Jahre ist es jetzt her, dass der Ex-Grüne zur SPD wechselte. Daheim ist er in dieser Partei deswegen noch lange nicht.
Ortstermin im Münchner Vorort Haar. Otto Schily führt Wahlkampf mit Anspruch. Seine Veranstaltungsreihe „Otto Schily im Gespräch mit …“, zu denen Prominente wie Joachim Gauck und Ignaz Bubis geladen werden, sollen ein wenig Glanz in die Gemeindehäuser und Mehrzweckhallen der Provinz bringen. Im Bürgerhaus Haar ist heute Abend Siemens-Chef Heinrich von Pierer zu Gast.
Das Gespräch zieht sich. Man merkt, dass Wirtschaft nicht gerade Schilys Spezialgebiet ist. Außerdem kann man leichter Götterspeise an der Wand als den Siemens-Chef auf konkrete Aussagen über die Zukunft der Arbeit festnageln. Nach zwei mühsamen Stunden dankt Schily für den „interessanten Abend“, und die 300 Leute, darunter viele Siemensangestellte, gehen etwas ratlos nach Hause.
Ein erfolgreicher Abend, findet Otto Schily. Mit seinen Gesprächsabenden, sagt er, will er das erreichen, was er bei der APO schätzen gelernt hat und heute so schmerzlich vermisst: Diskussionen auf hohem Niveau. Der Polittalk soll die Wähler zum Nachdenken anregen. „Man muss sich auch mal darauf einlassen zu fragen, wohin die Welt treibt.“ Ein ehrenhaftes Unterfangen in Zeiten, in denen Politiker höchstens im Vier-Jahres-Rhythmus denken. Doch möglicherweise hatten sich viele der Anwesenden eher Antworten auf die Frage erhofft, wohin ihre Arbeitsplätze treiben.
Man kann aber nicht sagen, dass Schily bei der Basis nicht ankommt. Ein bisschen unnahbar ist er vielleicht. Selbst, wenn er Genossen duzt, bleibt Distanz spürbar, wirkt er immer ein wenig abwesend. Trotzdem ist man stolz auf den prominenten Kandidaten aus Bonn. Seit acht Jahren beackert Schily fleißig, wie alle bestätigen, den Wahlkreis 208, München Land. Immerhin liegt er mit seinen Erststimmen um fast sechs Prozent vor den Zweitstimmen der Partei. Doch das Direktmandat holt hier zuverlässig ein anderer, Martin Mayer. Es könnte auch Martin Müller sein, solange der nur für die CSU antritt. So ist das halt in Bayern.
Otto Schily beklagt sich nicht darüber, er hat es nicht anders gewollt. Als er 1989 zur SPD wechselte, hat er sich diesen Wahlkreis ausgesucht. „Schwierige Aufgaben haben mich schon immer gereizt“. Doch, dass er auch hier noch um seinen Einzug in den Bundestag kämpfen muss, das trifft ihn hart. Ich will kein Gewürge mehr“, gab er der Presse zu Protokoll.
Wegen andauernden Gewürgesi hatte er 1989 bereits die Grünen verlassen. Und was damals die Fundis waren, ist ihm heute die Funktionärskaste der Landespartei. Denn die bayerische SPD versteht sich als links, und da wird sie von den Wählern auch seit Jahrzehnten liegen gelassen. Unbelastet von jeder Regierungsverantwortung betrachten sich die Genossen hier als Hüter des sozialdemokratischen Reinheitsgebots. Gerne auch gegen die eigene Landesvorsitzende Renate Schmidt. Hier gilt der ehemalige RAF-Anwalt Schily spätestens seit seiner Zustimmung zum so genannten Asylkompromiss als Rechter. Und als er im Sommer vergangenen Jahres für die Partei in Bonn den Kompromiss zum Lauschangriff ausgehandelt hatte, stimmte der bayerischen Landesvorstand als einziges SPD-Gremium gegen die Vorlage und strafte Otto Schily auch gleich noch persönlich ab: Auf der Landesliste zur Bundestagswahl fand sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende auf Platz 29 der Liste wieder; 1994 war das der letzte Listenplatz mit einem Ticket nach Bonn. Und auf dem Parteitag in Hannover waren es dann wieder die Parteifreunde aus Bayern, die Schily mit ihrem Beharren auf einer Nachbesserung des Kompromisses eine Niederlage bereiteten.
Das saß. Ausgerechnet ihm, der selbst einst in Stammheim bei Gesprächen mit seiner Mandantin Gudrun Ensslin abgehört worden war. Ihm, der als Jurist korrekt bis auf die Knochen ist. So korrekt, dass er 20 Jahre danach noch immer Interviews über den Baader-Meinhof-Prozess ablehnt, um nicht mit der anwaltlichen Schweigepflicht in Konflikt zu kommen. Traut man ihm tatsächlich zu, Beichtgeheimnis und ärztliche Schweigepflicht für ein Linsengericht an die Konservativen zu verkaufen?
Auch wenn sich Schily um einen sachlichen Ton bemüht, die Kränkung ist hörbar, wenn er sagt, auch Hans-Jochen Vogel brauche ihm nicht ins Gewissen zu reden. Schilys etwas heisere Stimme wird leiser: „Ich habe ein gut ausgeprägtes Gewissen.“ Und dann bekräftigt er seine Kompetenz mehr, als er es nötig hätte und nimmt dabei den Zeigefinger zur Hilfe: „Ich habe eine gute juristische Ausbildung, ich weiß, wovon ich rede.“
Das steht außer Frage. Auch seine Gegner attestieren ihm höchste Kompetenz und Integrität. Doch beklagen sie, beides würde nur noch von seiner Arroganz und Eitelkeit übertroffen. Tatsächlich neigt Schily im Gespräch zu Belehrungen, Sätze, die ihm gewichtig erscheinen, wiederholt er gern zweimal. Seine Gegner im Landesvorstand, unter ihnen auch der ehemalige Verfassungsrichter Klaus Hanzog, meiert er ab mit dem Argument, ihre Einwände seien „frei von jeder Sachkenntnis.“ So wie er es früher mit dem fundamentalistischen Flügel der Grünen tat. Und spätestens wenn er sagt: „Es gibt in der SPD Gruppen, die haben ein gebrochenes, na, sagen wir: problematisches Verhältnis zum Staat“, da muss er selbst grinsen. Denn das klingt ganz wie damals in den 80er Jahren.