So putzt die Welt

In der Wirtschaft

Vileda beliefert die Welt mit Feudeln und Schrubbern. Und hat dabei gelernt: Putzen ist eine der letzten Bastionen kultureller Identität. – Der Text wurde im Januar mit dem „Medienpreis Mittelstand“ ausgezeichnet.

Der junge Manager kam mit besten Noten frisch von einer indischen Eliteuniversität. Aber von seiner ersten Aufgabe beim neuen Arbeitgeber Vileda war er dann doch ein wenig überrascht. Keine ausgefeilte Marktstudie über Haushaltsprodukte auf dem Subkontinent sollte er liefern, auch keine kreative Marketingstrategie für den Wischmopp entwickeln.

Nein, Klaus Peter Meier, sein neuer Chef, wollte nur eines vom jungen Inder wissen: „Wie putzt man in einer durchschnittlichen indischen Familie?“ Mit Tuch oder Schwamm, Flachwischer oder Mopp? Nass oder nur feucht? Mit viel oder wenig Putzmittel? Mehrfach täglich oder nur ein Mal wöchentlich, dann aber gründlich? Klaus Peter Meier grinst, wenn er die Geschichte erzählt.

Der Chef der Freudenberg Haushaltsgruppe verlangt von seinen Mitarbeitern nichts, was er nicht auch selbst tut. Längst fährt seine Frau mit ihm nur noch ungern in fremde Länder in den Urlaub. „Ich will immer rauskriegen, wie die Leute dort putzen.“ Indien hat er dem jungen Manager überlassen. Der ist erst einmal zurückgefahren in seine Heimat, auf Erkundungstour, denn die „durchschnittliche indische Familie“ gibt es nicht. Da bedarf es etwas mehr an Feldforschung. Meier wartet schon gespannt auf den Putzreport. Indien soll nach Europa, Nordamerika und China der nächste große Markt sein, den Vileda mit seinen Mikrofasertüchern und Fensterlappen beglückt. Meier sagt: „Da müssen wir genau wissen, was die Kunden von uns erwarten.“

Die Erwartungen an Feudel und Fenstertücher sind nämlich von Land zu Land höchst unterschiedlich, haben Meier und seine Leute festgestellt. Während sich Mode, Ess-, Wohn- und sogar Schlafgewohnheiten dank der Marktmacht internationaler Konzerne wie H&M, Ikea oder McDonald’s weltweit immer weiter angleichen, bleibt eine Kulturtechnik auch im 21. Jahrhundert stark von den Traditionen geprägt: das Putzen.

Man könnte sagen, im globalen Dorf kehrt jeder vor seiner Tür – aber jeder auf seine Weise. Vileda-Chef Meier hat in seinem Büro in einem unscheinbaren Bürokasten im Industriegebiet von Mannheim eine Batterie von Putzutensilien in Reih und Glied aufgebaut.

Der „Superfeger Multi“ neben dem „Ultramat-Flachwischer“. Der klassische Wischmopp mit dem roten Stiel und den gelben Fransen ist auch dabei. Daneben steht das amerikanische Modell. Mit weißen, gedrehten Baumwolltroddeln sieht es aus wie die Winkelemente einer Cheerleadertruppe. „Was glauben Sie, wie viele amerikanische Haushalte einen Eimer zum Putzen verwenden?“, fragt Meier und hebt den Cheerleader- Mopp in die Höhe.

Er hat sein Jackett abgelegt, die goldenen Manschettenknöpfe und der Siegelring blitzen. „Es sind weniger als zehn Prozent!“ Erstaunen, wie gewünscht. Bis Meier erklärt: Amerikaner spülen den Mopp meist direkt im Waschbecken aus, und weil sie nicht gern mit dem Putzwasser in Berührung kommen, muss ein amerikanischer Mopp eine Wringmechanik haben, mit der das Putzwasser fast wie von selbst aus den Baumwolltroddeln tropft.

Deshalb hat Vileda in Amerika den Pro-Wring auf dem Markt. Doch das Problem ist damit noch lange nicht gelöst. „Richtig kompliziert wird es erst in Gegenden der USA, in denen viele Hispanics leben“, sagt Meier. Denn die würden nie auf ihren Putzeimer und reichlich Wasser verzichten. Wringmechaniken sind ihnen dagegen schnuppe.

Seit 60 Jahren ist Viledas Mutterkonzern, die Weinheimer Freudenberg, nun im sauberen Geschäft mit Putzutensilien. Dabei war das am Anfang eher Zufall. Schon in den 20er-Jahren war das Familienunternehmen eine der größten Gerbereien und belieferte die Welt mit Lederprodukten. Da Leder im Krieg knapp wurde, suchte Freudenberg nach synthetischem Ersatz.

Das Ergebnis war ein Stoff, der sich zwar wie Leder anfühlte, aber zu weich war für die Schuhproduktion. Dafür eignete er sich bestens zum Fensterputzen. Das war die Geburtsstunde des Vileda-Fenstertuchs, das jahrzehntelang für beste Umsätze sorgte und den Grundstein für die Marke Vileda legte. In den 70er-Jahren kam dann ein Mitarbeiter, der in Spanien groß geworden war, auf die Idee, das Tuch zu Fransen zu zerschneiden. So entstand der Wischmopp.

In den 80er- und 90er-Jahren folgte dann die Expansion ins europäische Ausland und auf den Weltmarkt. Während der Jahre im internationalen Schrubbergeschäft hat das Unternehmen eine Art Topografie des Putzens entworfen. Vileda weiß heute, dass nordeuropäische Hausfrauen den großen Flachwischer lieben, die Briten nur kleine Schrubber benutzen, weil dort die Bäder klein sind und im Rest der Wohnung meist Teppichboden liegt.

Alle putzen wie Mutti

Vileda hat gelernt, dass in arabischen Haushalten mit viel Wasser und Chemie geputzt wird, Skandinavier dagegen eher trocken und umweltfreundlich putzen. Belgier wiederum – es war zu ahnen – putzen vollkommen aus der Reihe. Sie klemmen zwei Ecken riesiger Putzlappen an Schrubber und ziehen sie dann über Kachelböden und Laminat. Diese Methode sieht man sonst nur rund ums Mittelmeer.

Die Gründe für die unterschiedlichen Gewohnheiten beim Reinemachen bieten Völkerkundlern ein weites Forschungsfeld. Es hat wohl mit dem Klima und den vorherrschenden Bodenverhältnissen in den Wohnungen zu tun. Bei Topfschwämmen auch mit verschiedenen Essgewohnheiten. Aber den größten Einfluss bringt Klaus Peter Meier auf einen Begriff: Mama.

„In aller Welt putzt man so, wie man es von seiner Mutter gelernt hat“, sagt er. Das mache den Markt so konservativ. Mit Leidensmiene erinnert Meier sich an die Versuche, seine eigene Mutter von Vileda-Mopps zu überzeugen. Deshalb sei es auch völlig zwecklos, die Amerikaner vom Nutzen des Putzeimers überzeugen zu wollen, sagt Meier, oder den Belgiern ihren zeltgroßen Putzfeudel auszureden.

Keine Experimente

Wenn sich „Villariba“ und „Villabajo“, die beiden spanischen Dörfer aus der deutschen Fernsehwerbung, auch nicht auf das gleiche Spülmittel einigen können, so sind sie sich mit ganz Spanien darin einig, was von einem ordentlichen Topfschwamm zu erwarten ist: Eine sehr harte Fläche, von den Fachleuten „Abrasiv“ genannt, mit der man die eingebrannten Reisreste aus der Paellapfanne kratzen kann.

„Wir müssen liefern, was Kunden wünschen“, sagt Meier. Gegen die eingeschliffenen Putzgewohnheiten sind selbst ausgebuffte Marketingexperten machtlos. Topfschwämme sind dafür ein gutes Beispiel. Meier stöhnt leicht auf, wenn er sich daran erinnert. Vor Jahren brachte Vileda in Italien den klassischen Glitzi-Topfschwamm auf den Markt. Mit einer gelben weichen Seite und der harten blauen Seite.

„Unser Produkt war saugfähiger und hatte zudem das widerstandsfähigere Abrasiv“, sagt Meier mit dem Stolz des Marktführers. Aber die Italiener kauften trotzdem weiter diese flachen, weichen Schwämmchen, die sich anfühlen wie ein dicker Pfannkuchen. „Uns war das ein Rätsel“, sagt Meier.

Erst als Mitarbeiter italienische Haushalte besuchten und beobachteten, wie man dort die Pastatöpfe wienert, stellten sie fest: „Die benutzen gar nicht die blaue harte Seite, sondern am liebsten die weiche gelbe.“ Seitdem produziert Vileda flache, weiche Topfschwämme extra für den italienischen Markt.

Da kommt Jochen Wirsching ins Spiel. Der steht in einem laborartigen Raum, vor ihm auf dem Boden sind jeweils einige Quadratmeter Kacheln, Parkett und PVC verlegt. In der Luft liegt ein dezenter Zitrusduft. „Putzen ist ein komplizierter Vorgang“, sagt Wirsching und stützt sich auf einen verkabelten Flachwischer. „Unsere Aufgabe hier ist es, Kraft, Zeit und Chemie beim Putzen zu vermindern.“ Er deutet auf die Kabel am Feudel.

Die Kraftfühler am Stiel messen den Druck, der beim Putzen auf den Schrubber ausgeübt wird, erklärt der Ingenieur. Wirsching ist Chef der Abteilung Anwendungstechnik, hier fließen die Erkenntnisse, die Vileda im Markt gesammelt hat, zusammen. Wirsching und seine Kollegen machen daraus neue Produkte. Dabei sind natürlich die kulturellen Vorlieben zu berücksichtigen.

Innovationen: Nord-Süd-Gefälle

Manchmal, wenn sich Wirschings Entwickler nicht sicher sind, ob ihre Erfindungen praktisch sind, muss auch mal Betriebsputzfrau Nilgün Kepez probewischen. „Das Wichtigste ist, sich die Haushalte im Ausland anzuschauen, bevor man Produkte entwickelt“, sagt Wirsching. So haben er und seine Mitarbeiter erfahren, dass die Wischmopps in China einem wahren Härtetest unterzogen werden.

Weil dort die Wohnungen sehr klein sind und die Chinesen ihre Schuhe nicht ausziehen, kommt jeder chinesische Mopp mindestens fünfmal am Tag zum Einsatz. Das erfordert besonders widerstandsfähiges Material. „In Japan haben wir erfahren, dass die Hausfrauen dort Schrubber und Besen hinter der Waschmaschine verstauen und die Stiele deshalb nicht länger als 80 Zentimeter sein dürfen.“ Um nicht für jedes Land einen eigenen Besenstil anzufertigen, hat Vileda die Teleskopstange eingeführt.

Angesichts solcher Traditionen haben es Innovationen schwer. Die Vileda-Ingenieure haben ein Nord-Süd-Gefälle festgestellt. Neue Putzutensilien lassen sich in Skandinavien leichter einführen als in Südfrankreich. Und bei Profis leichter als bei Hausfrauen. „Es klappt nur dann überall problemlos, wenn sie ein bahnbrechendes Produkt liefern“, sagt Wirsching. Mikrofasertücher zum Beispiel, auf die Vileda ein Patent hat. „Die sind in allen Ländern ein Verkaufsschlager.“

Eine Frage der Ehre

in Fast Allen. Nur nicht im Milliardenmarkt China. Dort bleibt die Hausfrau hartnäckig ihren dünnen Tüchern aus Bambusfasern treu. Anlass für Wirschings Leute, sich die Lappen genauer anzusehen. Sie entdeckten, dass die Bambusfasern antibakteriell wirken, ganz ohne Putzmittel. Das Interesse des Entwicklungsingenieurs ist geweckt. „Vielleicht ist das ja ein Produkt für den europäischen Markt“, sagt Wirsching und grinst.

Bei aller babylonischen Putzverwirrung, es gibt auch ein paar internationale Gemeinsamkeiten. Klaus Peter Meier zählt sie in seinem Büro auf. Überall finden sich vier Putztypen, sagt Meier, wenn auch in unterschiedlicher Verteilung: Da ist der Putzmuffel, der das Saubermachen hasst. Dann der Minimalist, dem es vor allem um eine saubere Oberfläche geht. Dann kommt der Pragmatiker und zuletzt, eher auf dem Rückzug, der Traditionalist, für den ein sauberes Eigenheim eine Frage der Ehre ist. Sie alle haben spezielle Vorstellungen vom richtigen Putzgerät.

Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit der Vileda-Kunden in aller Welt. Meier spricht sie mit einem gewissen Bedauern an, denn es ist zugleich eine schlechte Nachricht für den Stand der Emanzipation: Die Kunden sind zu 90 Prozent weiblich. „Männer kommen als Käufer erst dann ins Spiel, wenn sich die Putzutensilien mit Technik verbinden.“

Beim elektrischen Besen zum Beispiel. „Da glauben Männer dann, sie müssten ihren Frauen dieses praktische Produkt aus unserem Sortiment unter den Weihnachtsbaum legen.“ Obwohl er natürlich von seinem Produkt überzeugt ist, sagt der Vileda-Chef: „Ich kann vor so einem Geschenk nur warnen.“ Frauen seien da eigen. Weltweit.